Propheten der Natur

Der Mensch, seine Ernten und somit direkt sein Überleben sind vom Wetter abhängig. Damit er frühzeitig auf bevorstehende Unwetter oder Naturkatastrophen reagieren kann, ist er auf möglichst genaue und verlässliche Vorhersagen angewiesen.
Heute sind die Vorhersagen computergestützt. Früher basierten sie auf Pflanzen- und Tierbeobachtungen. Nun fragen wir uns, inwiefern heute noch Prophezeiungen von Tieren und Pflanzen, das heisst biologische Beobachtungen, hilfreich sein können oder inwieweit diese auf Irrglauben beruhen?

Der Mehlbeerbaum (Sorbus aria) kann seine Blätter nach dem Licht ausrichten, um die Fotosynthese zu optimieren.
Der Mehlbeerbaum (Sorbus aria) kann seine Blätter nach dem Licht ausrichten, um die Fotosynthese zu optimieren.

Meteorologische Vorhersagen

Es ist seit jeher schwierig, die meteorologische Zukunft vorherzusagen. Dies bestätigt sich selbst bei modernsten, ausgeklügelten Computerprogrammen, mit denen meteorologische Vorschauen getätigt werden, die nicht immer eins zu eins eintreffen.
Auch die Interpretationen von pflanzlichen und tierischen Signalen sind mit Vorsicht zu geniessen. Unter den Wetterprophezeiungen im Volksmund und den meteorologischen Bauernregeln gibt es solche, die absolut verlässlich sind. Andere dagegen darf man nicht ernst nehmen, da sie auf einem Beobachtungsirrtum oder einer Fehlinterpretation beruhen.
Wie funktionieren denn die tierischen und pflanzlichen Meteosignale?

Vier Arten von Wetterfühligkeit

Pflanzen und Tiere verändern ihr Verhalten aufgrund von Witterungseinflüssen. Pflanzen reagieren vor allem auf Veränderungen von Licht und Luftfeuchtigkeit wie der Fotometer und der Hygrometer. Tiere tun es desgleichen, doch sprechen sie zusätzlich auf Temperatur und atmosphärischen Druck an wie das Thermometer und das Barometer.
Fotometrische Pflanzen antworten auf Richtung und Stärke des Lichteinfalls. Einige Pflanzen wie etwa die Mehlbeere (Sorbus aria) können sogar ihre Blätter nach der Lichtstrahlung ausrichten, um so die Fotosynthese zu steigern.
Hygrometrische Pflanzen verändern je nach Feuchtigkeitsgrad der Luft den Wassergehalt bestimmter Zellen, was ein vorübergehendes Einrollen der Blätter bei Trockenheit ermöglicht (Schutz vor Austrocknung). Zum Beispiel der Strandhafer (Ammophila), ein Gras an den Meeresküsten, hat diese Eigenschaft sowie der Tannenzapfen, der sich bei Trockenheit öffnet und sich bei vorhandener Feuchtigkeit wieder schliesst.

Trickreiche Natur

Allerdings reagieren hygrometrische Pflanzen oft gegenläufig. Während sich die Blüten, zum Beispiel vom Gänseblümchen (Bellis perennis) und vom Löwenzahn (Taraxacum officinale), bei aufziehendem Regen schliessen, machen es der Grosse Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis) und das Fünffingerkraut (Potentilla) gerade umgekehrt.
Bei den Tieren reagieren vor allem diejenigen auf höhere Luftfeuchtigkeit, die sich bei Trockenheit verkriechen. Diese Tiere, wie zum Beispiel Schnecken, Regenwürmer oder Asseln, nutzen Regenperioden für Ernährung und Fortpflanzung.
„Sind Fliegen und Bremsen lästig, wird das Wetter schlecht.“ sagt die Bauernregel. Und sie hat recht. Die schwüle Atmosphäre vor einem Gewitter bringt Menschen und Tiere zum Schwitzen. Der aufkommende Wind verbreitet den Schweissgeruch, der wie ein Lockmittel für Fliegen und Bremsen wirkt.
„Ist das Spinnennetz gut befestigt, wird das Wetter heftig.“ sagt eine alte Volksweisheit. Tatsächlich, wenn die Spinnenseide Wasser aufsaugt, zieht sie sich zusammen und wird damit kürzer und dicker.
Selbst eine Messung der Temperatur nur mit tierischen Signalen ist möglich, weil das Verhalten vieler Insekten temperaturabhängig ist. So zirpen Grillen und Heuschrecken nur dann, wenn es mindestens 12 bis 15°C warm ist.

Tiere als Wetterpropheten

Dass Amphibien auf Luftdruckveränderungen reagieren sollen, liess sich in Versuchen nicht bestätigen. Deshalb hat sich das „lebende“ Barometer, der Laubfrosch auf dem Leiterchen im Einmachglas, nicht bewährt.
Aber es gibt tatsächlich „Barometertiere“, nämlich parasitäre Wespen (Schmarotzer). Diese legen ihre Eier in andere Insekten. Bei einem Druckabfall vor schlechtem Wetter beschleunigen die Wespen die Eiablage in hektischer Weise.
Oft sind angebliche Wetterpropheten unter den Tieren nur indirekt solche. Meistens sind es ihre Beutetiere, die je nach Witterung ihr Verhalten ändern. So sind Maulwürfe vor einem Gewitter nur deshalb so eifrig, weil es auch die Regenwürmer sind, die auf ihrem Speisezettel stehen.
Die Bauernregel „Wenn die Schwalben niedrig fliegen, man wird Regenwetter kriegen.“ bezieht sich eigentlich nicht auf die Schwalben, sondern auf die von ihnen gejagten Insekten. Diese schwirren bei fallendem Luftdruck bodennah herum.

Pflanzen und Tiere als Zukunftsdeuter

Pflanzen und Tiere dienen dem Menschen nicht nur als Wetterpropheten. Er nutzt sie auch für Zukunftsdeutungen und begibt sich dabei gerne auf's Glatteis.
Seltene Erscheinungen werden mit Vorliebe als Glücksbringer gedeutet wie zum Beispiel die fünflappige Fliederblüte oder das vierblättrige Kleeblatt. Letzteres entsteht allerdings weniger glücklich, nämlich durch eine mechanische Verletzung einer Blattknospe in der Entwicklungsphase, verursacht durch Mensch oder Tier.
Zu den bekannten Glücksbringern zählt auch der Marienkäfer. Die Anzahl Punkte auf seinem Rücken sollen die bevorstehenden Glücksmonate symbolisieren. Verzwickt daran ist allerdings, dass verschiedene Arten unterschiedlich viele Punkte tragen (Reichweite von 2 bis 24 Punkten).

Ungeklärte Verhaltensweisen

Noch geben die Fähigkeiten gewisser Tiere Rätsel auf. Es wird nach wie vor geforscht, wie Tiere feine Erschütterungen und schwache, elektromagnetische Wellen registrieren können, die einem Erdbeben vorausgehen. So überraschte zum Beispiel bei der Tsunami-Katastrophe 2004 der Umstand, dass praktisch keine Wildtiere ertranken. Dieses Ereignis ist im wahrsten Sinne des Wortes noch ein Rätsel der Natur.
Folgend eine kleine Auswahl von meteorologischen Bauernregeln, die aber teilweise mit Vorsicht zu geniessen sind:

  • Auf trockenen, kalten Januar folgt viel Schnee im Februar.
  • Auf Märzenregen folgt kein Sonnensegen.
  • Der April tut, was er will.
  • Ist der Mai recht heiss und trocken, kriegt der Bauer kleine Brocken.
  • Gibt's im Juni Donnerwetter, wird gewiss das Getreide fetter.
  • Wenn's im Oktober friert und schneit, bringt der Jänner milde Zeit.
  • Gefriert im November schon das Wasser, wird der Januar umso nasser.
  • Weihnachten im Schnee, Ostern im Klee.
  • Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich's Wetter – oder es bleibt wie es ist.
  • Wenn man lange genug wartet, wird es das schönste Wetter.
  • Morgenrot mit Regen droht.
Der Mehlbeerbaum (Sorbus aria) kann seine Blätter nach dem Licht ausrichten, um die Fotosynthese zu optimieren.
Der Mehlbeerbaum (Sorbus aria) kann seine Blätter nach dem Licht ausrichten, um die Fotosynthese zu optimieren.
Wohl überall bekannt, aber trotzdem ein Trugschluss ist der Frosch auf der Leiter. Das Wetter richtet sich nicht danach.
Wohl überall bekannt, aber trotzdem ein Trugschluss ist der Frosch auf der Leiter. Das Wetter richtet sich nicht danach.
Der Glücksklee und der Marienkäfer sind keine Zukunftsdeuter und bringen auch nicht mehr Glück. Einzig der Glaube daran kann sich positiv auswirken.
Der Glücksklee und der Marienkäfer sind keine Zukunftsdeuter und bringen auch nicht mehr Glück. Einzig der Glaube daran kann sich positiv auswirken.
Der Löwenzahn (Taraxacum officinale) öffnet seine Blüten nur bei Sonnenschein und schliesst sie wieder bei aufziehendem Regen.
Der Löwenzahn (Taraxacum officinale) öffnet seine Blüten nur bei Sonnenschein und schliesst sie wieder bei aufziehendem Regen.
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